Jörg Kleis, 33, ist Autor und Mitgründer von AfricaWorks. Das Unternehmen vernetzt afrikanische Absolvent*innen von europäischen Hochschulen mit mittelständischen Unternehmen und will den interkulturellen Austausch stärken.

Du hast im vergangenen Jahr gemeinsam mit drei Partnern “AfricaWorks” gegründet. Was genau verbirgt sich hinter dem Namen?

AfricaWorks ist eine Personalagentur für gutausgebildete Afrikaner*innen, die in Deutschland leben. Wir vernetzen die Absolvent*innen mit europäischen Unternehmen, die ihnen Jobs anbieten können – sowohl in Deutschland als auch in ihrer Heimatregion.

Wie kamt ihr auf diese Idee?

Wir alle teilen das Interesse an und die Faszination für Afrika. Während des Studiums, beruflich und auch privat haben wir verschiedene Länder bereist und Projekte über oder in afrikanischen Ländern verwirklicht.

Wir haben uns Fragen gestellt, wie: Was motiviert Afrikaner*innen zum Studieren nach Europa zu kommen? Und was versprechen sie sich davon? Wollen sie hier arbeiten oder wollen sie eigentlich zurück? Diese und viele andere Fragen haben wir mit Studenten und Absolvent*innen in Deutschland diskutiert und herausgefunden, dass die meisten von ihnen am liebsten wieder zurück in ihre Heimat wollen. Oft fehlt dort aber die konkrete Anbindung an ihre Ausbildung  – und vor allem ein damit verbundener Job. Das wollen wir ändern.

Wer profitiert von AfricaWorks?

Rund 22.000 Afrikaner*innen studieren derzeit in Deutschland – für ein Auslandssemester oder auch länger. Dazu kommt im Grunde genommen die gesamte Diaspora, die in Deutschland lebt und durch ihre Ideen und ihre Netzwerke zum Austausch beitragen wollen. Das sind rund 750.000 Menschen, für die sich nur wenige interessieren. Wir wollen Afrikaner*innen den Einstieg in den Job erleichtern. In Workshops und Trainings zeigen wir auch, was deutsche Unternehmen von ihren Arbeitnehmer*innen erwarten.

Auf der anderen Seite gibt es deutsche Unternehmen, die in Afrika aktiv sind und von Arbeitskräften profitieren, die sich dort auskennen, zudem Deutsch sprechen und die deutsche Kultur kennen. Rund 1.600 Unternehmen aus der DACH-Region (Deutschland, Österreich und Schweiz) sind derzeit in Afrika aktiv. Ihre Standorte liegen vor allem in den großen Märkten entlang der Küsten. In den kommenden Jahrzehnten ist da definitiv noch Potential für mehr.

Du sagst, dass du während der Gründung “mehr über Deutschland gelernt hast als über Afrika”. Was meinst du damit?

Es kann sehr anstrengend sein, mit Leuten über Afrika zu sprechen, die noch nie in Afrika waren. Dann kommen Fragen wie: Warum macht ihr das nicht für China?

Viele sehen uns zudem als “Start-up”, das schnell wachsen muss. Sie fragen uns nach den KPIs [Kennzahlen, anhand derer der Fortschritt eines Unternehmens gemessen wird – Anm. der Red.] oder unserer Skalierbarkeit. Das ist bei uns als “sinngetriebene” Agentur Blödsinn. Außerdem stellt sich doch die Frage: In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich, wenn man immer nur danach guckt, wie ein Unternehmen Gewinne maximieren kann und nicht danach, welchen Mehrwert es für die Gesellschaft hat?

In deinem Buch “Gestatten Afrika” kritisierst du unter anderem den europäischen Blick auf den Nachbarkontinent. Was läuft da schief?

Auf den ersten Blick scheint uns vieles in Afrika vielleicht sehr fremd: Die Gerüche, die Lautstärke, das Gewusel. Doch wenn man genauer hinguckt, erkennt man, dass wir uns viel ähnlicher sind, als wir glauben. Wir haben eine ähnliche Gesprächskultur, eine ähnliche Körpersprache und intrinsische Motivation. Ich habe durch das Zuhören sehr viel gelernt.

Zudem hält sich das Bild vom “armen Afrika, dem wir helfen müssen” hartnäckig in unseren Köpfen. Das ist fatal.

Du bist ein Gegner von Entwicklungszusammenarbeit, so liest man es zumindest in einigen deiner Texte und Interviews. Warum?

Das ist ein überspitztes Statement von mir. Ich artikuliere gerne Maximalforderungen. Damit will ich deutlich machen: So wie wir das bisher angehen, läuft es grundlegend falsch. Viele meiner afrikanischen Freunde fühlen sich durch die belehrende Entwicklungspolitik provoziert, das darf nicht sein. Doch ich bin auch Realist genug, um zu erkennen, dass wir es differenzierter angehen müssen. Die Inhalte des “Marshallplans mit Afrika” sind beispielsweise nicht grundlegend falsch. Arbeitsplätze zu schaffen, Bildung und freien Handel zu stärken sind wichtige Themen. Doch die eurozentrische Sicht ist – wie so oft – das Problem.

Trotzdem bist du dafür, dass Afrika darin unterstützt wird, sich wirtschaftlich weiterzuentwickeln. Wie könnte es also besser gehen?

Ich habe drei klare Forderungen an die Politik: Wir müssen aufhören, die Landwirtschaft in Europa  zu subventionieren, damit afrikanische Landwirte eine Chance haben. Wir müssen helfen, die Stromversorgung in Afrika zu verbessern – denn Strom ist das A und O für Unternehmertum. Und wir müssen die Grenzen öffnen und mehr Menschen zur Ausbildung nach Deutschland holen.

Die Abwanderung von gut ausgebildeten Fachkräften ist für die Entwicklung vieler afrikanischer Länder noch immer ein großes Problem. Warum bist du also dafür, dass mehr Afrikaner in Deutschland arbeiten?

Zum einen wollen wir niemandem vorschreiben, wo er arbeiten und leben soll. Zum anderen sollte das Geburtsland nicht darüber entscheiden, wer du bist und zu was du es bringen kannst. Vor 100 Jahren war für deinen Aufstieg entscheidend, in welcher gesellschaftlichen Schicht du geboren wurdest. Heute ist entscheidend, in welchem Land du geboren wurdest. Offene Grenzen und offene Gesellschaften sind deshalb mein größter Wunsch.

Editorial

Armut beenden

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Ein Beitrag von Jana Sepehr