Palmyra, Rakka, Mossul, Hatra, Nimrud. All das sind Namen wertvoller antiker Kulturstätten in Syrien bzw. im Irak. Besser gesagt, es WAREN wertvolle antike Stätte. Denn Kämpfer des Islamischen Staats (IS) haben diese unschätzbaren antiken Kulturzeugnisse in den letzten Monaten fast komplett dem Erdboden gleichgemacht. Historische Kulturgüter der Menschheit einfach niedergerissen, ausgebombt, bis zur Unkenntlichkeit zerstört. 

Nicht nur Historikern bricht hier das Herz. 

Auch der assyrische Teenager Nenous Thabit aus Mossul war lange Zeit fassungslos über die Zerstörungswut. Und er spürte den Drang, sich gegen die IS zur Wehr setzen zu wollen. Als er dann zum ersten Mal die Bilder von der Zerstörung Nimruds sah, hatte er genug: Er krempelte die Ärmel hoch und fing noch am selben Tag an, die zahlreichen Skulpturen und Statuen einfach wieder nachzubauen.

Bereits letztes Jahr veröffentlichte der IS Bilder der Zerstörung Nimruds - für die Kämpfer galt die alte Stadt mit ihren Statuen und Abbildungen als Abgötterei, die nicht mit ihrer Ideologie vereinbar ist. Von den einst prachtvollen Skulpturen, die sich in Nimrud befanden, ist nicht mehr viel übrig.

Erst vor wenigen Wochen konnte die Stadt dann - oder das, was davon noch übrig ist - durch die irakische Armee zurückerobert werden. Doch die Verwüstung scheint noch schlimmer als bisher angenommen.

Als der 17-jährige Nenous die Bilder des verwüsteten Nimruds sah, war er am Boden zerstört. Und es traf ihn auch persönlich. Denn Nenous und seine Familie sind Angehörige der Assyrischen Kirche des Ostens, die sich aus dem assyrischen Reich heraus bildete. Die 3.300 Jahre alte Stadt Nimrud war einst die Hauptstadt des assyrischen Reichs und wird weltweit häufig als die Wiege der Kultur bezeichnet. In den Augen Nenous hatte der IS die Artefakte seiner Vorfahren zerstört.

Den Gedanken konnte Nenous einfach nicht aushalten. Daher entschied er sich noch am selben Tag, die wertvollen Statuen und Skulpturen einfach nachzubauen. Die Bildhauerei war für ihn bis dahin nur ein Hobby, das er nach der Schule betrieben hat. Jetzt aber sieht Nenous darin eine Lebensaufgabe.

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„Der IS hat einen Krieg gegen unsere Kultur und unsere Kunst begonnen”, sagt Nenous. „Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, den IS zu bekämpfen, in dem ich die Skulpturen und Statuen wieder nachbaue. Lamassu ist meine Lieblingsstatue, weil sie in der assyrischen Kultur die stärkste Kreatur darstellt.” Und neben Lamassu hat Nenous inzwischen noch weitere 17 zerstörte Skulpturen nachbilden können!

Gelernt hat Nenous die Bildhauerei von seinem Vater, der ihm in der eigenen Werkstatt alles beibrachte, was er wissen musste. Nenous möchte nun in die Fußstapfen seines Vaters treten und sieht darin gleichzeitig den Widerstand gegen den IS: „Im Irak werden Menschen vom IS getötet, weil sie Bildhauer und somit Künstler sind. Ich aber werde mit dem Bildhauen weitermachen. Denn damit sende ich eine Nachricht an den IS, dass ich mich von ihnen nicht einschüchtern lasse.”

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Obwohl Nenous und seine Familie inzwischen aus Mossul fliehen mussten, lässt er sich nicht unterkriegen. Nenous hat seine ganz eigene Art gefunden, sich dem IS zu widersetzen und ein Zeichen gegen die Zerstörungswut der IS-Truppen zu setzen. Inzwischen unterrichtet Nenous auch jüngere Kinder das Handwerk der Bildhauerei, in der Hoffnung, damit nicht nur ein Kunsthandwerk, sondern auch Hoffnung weiterzugebem. Nächstes Jahr will er auf eine Kunsthochschule im Irak gehen, wenn alles klappt.

Die Welt braucht mehr Menschen wie Nenous. 

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Gerechtigkeit fordern

Teenager rebelliert gegen IS Zerstörungswut und baut Skulpturen einfach nach

Ein Beitrag von Katrin Kausche